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EINBLICKE

In mein Leben. In mich.

AutorenbildKlaus

Wanderbares Suedkreta - Kann ein Weg ein Freund sein?

Aktualisiert: 16. Okt. 2023


Wir unterhalten uns mit dem Taxifahrer über einen gemeinsamen Bekannten in Chania. „Yes, I know him. Yiannis from Chania! You have to know: When you shout in to a greek Bar “Yiannis” every second head will look at you!”

“What’s your name?“ fragen wir den Mercedes-Fahrer.

„Georgios!“ – „That’s every other second head in greek Bars.“


Mit einem Lächeln im Gesicht lassen wir uns über die Berge Kretas an den südwestlichsten Zipfel chauffieren. Elafonisi. Geschafft, zumindest die Anreise.

Es kann losgehen! 5 Freunde, viel Gegend, ein Weg!


„Was magst du so an Paris?“ habe ich unlängst meine frankophile Freundin Susi gefragt. „Wenn ich durch diese Stadt schlendere, dann könnte ich jeden Stein, jede Gehsteigkante, jede Fassade abschlecken – so sehr mag ich’s dort!“ Ähnlich geht es mir mit dem Weitwanderweg E4 entlang der Südküste Kretas.


Mit 10.450 km Gesamtlänge ist er der König unter den 12 Europäischen Fernwanderwegen. Von Andalusien über Portugal kommend überquert er die Alpen und schlängelt sich dann durch Osteuropa, hüpft in Elafonisi aus dem Wasser um sich vor uns für die nächsten 76 km auszubreiten. Dann taucht er wieder ins Meer, um in Zypern sein Ende zu finden. Doch so weit sind wir noch nicht.


Nur mit dem Notwendigsten in unserem Schneckenhaus am Rücken geht es los, es lebe die Reduktion. Wir starten stets mit einem Sharing in den Tag. Während des morgendlichen Gedankenteilens blinzelt die Sonne hinter der Lefka Ori, dem Weißen Gebirge, hervor, wie wenn sie anklopfen würde und fragt: „Störe ich?“


Wir lassen sie höflich in unsere Mitte und teilen mit ihr und einem Lächeln im Gesicht.

Das tägliche Sharing ist für uns ein kraftvolles Werkzeug aus dem Imago-Konzept. Jeder von uns bekommt Redezeit im vertrauten Kreis um seine innersten Befindlichkeiten und Gefühle in Worte zu fassen. Alle anderen lauschen schweigend, während von einem oder einer in der Runde das Gesprochene wiederholt wird. Wir Menschen wollen gesehen und gehört werden. Genau dafür sorgen wir mit diesem Ritual. Es fühlt sich gut an. Verbundenheit entsteht. Mit uns selbst und mit der Gruppe. Danach stellen wir dem Weg eine Frage und sind gespannt, welche Antworten er uns während des Tages gibt. Die ersten 30 Wanderminuten gehen wir stets in Stille. Wir lassen die Frage in uns arbeiten und den Weg Antworten finden. „Aufrichtigkeit“ ist für mich das zentrale Wort der ersten Etappe. Der Weg ist es. Aufrichtig! Karstiger Fels, spitze Steine, markantes Profil. Würde man sich den E4 aus dem Weltall ansehen, so würde er sich wie die Wirbelsäule durch den Kontinent Europa ziehen, geradlinig und verbindend. Der Inbegriff von Aufrichtigkeit. Er ist mir ein Vorbild.



Okzident & Orient. In den entzückenden Küstendörfern des Südens empfängt man bereits afrikanische Radiosender, während man die Rechnung für Mousaka & Retsina in Euro begleicht.


Alle paar hundert Meter taucht eine Wegmarkierung auf und stillt das latente Bedürfnis, am richtigen Weg zu sein. Manchmal wurden die schwarz-gelben Pinselstriche auf Olivenbäume gezaubert, manchmal auf Felsformationen und manchmal steht sogar eine bemalte Eisenstange in der Gegend herum, fast so als wäre der Weg von der Raiffeisenbank gesponsert.


Immer wieder muss ich an Susis Worte der unerklärlichen Zuneigung denken. Ich nehme mir ein Herz, knie nieder und sauge an einem Stein am Wegesrand. Kalkig staubig der Geschmack. Ich mag dich dennoch, mein lieber E4. Ich habe das Gefühl, als hätte sich in all den Jahren eine Freundschaft zwischen uns entwickelt. Wenn ich nach Kreta fliege um die Südküste zu erwandern, dann gleicht es in meinem Inneren dem Besuch eines guten Freundes. Wir fühlen uns vertraut. Diesmal habe ich dir vier weitere Freunde mitgebracht um sie dir vorzustellen. Ich habe ihnen viel von dir erzählt, nun sind sie hier um dich kennenzulernen und sich von deiner Schönheit selbst zu überzeugen.

Wir machen eine Badepause, zu verlockend sind die einsamen türkisen Kiesbuchten. Für die Ziegen in der Ferne brauchen wir weder Badehose noch Bikini – so geht es nackt ins kühlende Vergnügen um uns den Wanderschweiß der ersten Etappe vom Lybischen Meer abspülen zu lassen. Das kühle Nass tut gut. Unter einem Olivenbaum trocknen wir die frisch gebräunte Haut.





Ein Coach hat mich vor vielen Jahren einmal nach dem Idealzustand in meinem Leben gefragt. Wie schmeckt er? Wie hört er sich an? Und wie sieht er aus? Meine Antwort damals war: „Er schmeckt wie das Innere einer Thunfischpizza, klingt wie das Flüstern von Blätterrauschen im Wind und gibt den Blick in eine traumhafte Bucht mit kristallklarem Wasser frei.“ Genau so fühlt sich dieser Moment im warmen Kiesbett an. Alle Sinne sind entzückt und wollen die Zeit anhalten. Doch das geht nicht. „Das Schlechte am Guten ist, dass es vergeht. Das ist zugleich das Gute am Schlechten.“ Zu oft hat mir dieser Satz in meinem Leben schon geholfen die Perspektive zu wechseln. Nun auch. Deshalb: Weitergehen. Mit Freude.


Manchmal haben wir das Gefühl durch das tiefste Arizona im Sand vorbei an vertrockneten Bäumen zu pilgern, um gleich nach der nächsten Biegung auf einer Neuseeland-Postkarte zu landen.

Ich mag deine Vielseitigkeit, du Wohlfühl-Weg. Schon in der griechischen Mythologie haben sich viele der Sagen auf Kreta zugetragen. Sie waren nicht nur weise die griechischen Götter, sondern sie hatten auch Geschmack. Sie suchten sich als Bühne für ihre Abenteuer einen wahrlich zauberhaften Platz Erde aus.



Den erfolgreichen Tages-Sieg wollen wir am Etappenziel Paleochora fröhlich begießen. Doch davor die schockierende Nachricht: Tina Turner ist tot. Die Ikone lebt nicht mehr. Melancholie und Traurigkeit schwingt durch die Gassen des beschaulichen Küstenorts. Aus den Tavernen und Bars klingen bekannte Melodien von ihr, teilweise als Original, teilweise chillige Remixes. You were simply the Best!


Frühe Hühner bis späte Nachteulen: Wir haben alles mit am Start. Die Gruppe teilt sich in die vernünftigen Schlafengeher und die Schabernack-treibende Bar-Fraktion. Ich wähle Option zwei. Als um 4 Uhr morgens der Tennisschläger an der Kneipen-Wand zur Panflöte mutiert, zahlen wir zum dritten und letzten Mal. Der Morgen ist hart, doch wer A sagt muss auch B sagen. Oder E. Wie E4. Wir sind hier! Bereit für die Herausforderungen, die du uns erneut bietest.



„Wer hilft wo fordern reicht, schadet.“ Du forderst uns reichlich, manchmal hilft der Rückenwind. Oder die unterstützende Hand eines Freundes. So auch in der Schlucht von Anidri, nachdem wir in der 700 Jahre alten Kirche zum heutigen Wanderstart Wunschkerzen angezündet haben. Unsere inneren Auseinandersetzungen mit der Frage zum Tag sind gerade während der schweigenden ersten 30 Wanderminuten umso intensiver. Was will der Weg uns sagen? Wir lauschen in Stille während wir die Schlucht meistern.


Die Bar-Fraktion der letzten kurzen Nacht freut sich auf die Badebucht von Lissos, von wo sie auf das Transferboot nach Sougia steigen wird, um der letzten 400 Höhenmeter-Steilwand zu entkommen. Ziele visualisieren ist die eine Sache, doch was tun, wenn die erreicht geglaubte Zielkarotte plötzlich wieder in weite Ferne rutscht? Weil das Boot wegen der hohen Wellen heute doch nicht fährt? Dann heißts: Weitergehen. Und Zähne zusammenbeißen. Kommt der Kater eben mit auf den Berg und sieht was von der Gegend.



Das Durchhalten wird belohnt. Schon von oben sehen wir ein paar Zelte, die womöglich seit den 70ern hier mit Bob Marley-Beats beschallt werden. Sougia, das ehemalige Hippie-Dorf, wartet mit Eintöpfen, gebratenen Lämmern und Griechischen Salaten auf die hungrigen Wanderer. Ein paar Wildcamper halten den Woodstock-Spirit aus vergangenen Tagen noch am Leben, sie bereichern das Dorfleben. Hie und da eine dicke Rauchwolke aus einem angerosteten VW-Bus während die Hängematte im Reggae-Rhythmus schwingt.



Unser heutiger Unterkunft-Geber ist Louis de Funes der Südküste. Sie nennen ihn hier Damianos. Kurz und ruckartig seine Bewegungen, oft grundlose Verblüffung in seinem Blick. Er freut sich auf unsere Ankunft um uns endlich in seiner Taverne „Santa Irene“ beherbergen zu können. Einst benannt nach seiner heiligen Ehefrau, die nun als Exfrau mit ihm gemeinsam den Betrieb schupft. Hut ab, wie harmonisch wirkend ihr beiden diese außergewöhnliche Situation meistert!


Meine schweren Wanderbeine erholen sich im Tavernensand während ich das Wellengetöse bestaune. Ich genieße die Wellen, die der Wind uns von weit draußen an den Strand spült. Meterhohes weißes Rauschen. Niemand wagt sich zu nahe ran, doch aus der sicheren Entfernung: ein Genuss. Blöd, dass das Boot nicht fahren konnte. Schön, wie ich diese unfassbaren Naturgewalten nun bestaunen kann. Wie träge Mühlräder walzen sich die Wassermassen Richtung Sandstrand bevor sie mit einem dumpfen Krach zu Boden fallen und die Strandbetten erzittern lassen. „Was kann ich dir bringen?“ reißt mich Heilige Irene aus meinen Tagträumen. „Gar nichts, Danke. Ich genieße nur diese tolle Aussicht.“

„Man wird doch wohl noch einfach aufs Meer schauen dürfen!“ meint sie keck. Nicht nur ihre Geradlinigkeit und unverblümt erfrischende Art, auch ihr struppiges Aussehen erinnert mich ein Wenig an Pippi Langstrumpf.







Abends kann ich nicht einschlafen. Damianos auch nicht. Zu zweit sitzen wir unterm Sternenhimmel und führen Männergespräche. Er erzählt von seinem Traum. Endlich nur mehr Olivenbauer zu sein, nicht Olivenbauer und Tavernen Besitzer. „Dauernd ist etwas kaputt oder etwas zu tun. Die defekte WC-Spülung hier, der vom Gast mitgenommene Zimmerschlüssel da. Im Olivenhain bin ich glücklich.“ tönt es ganz zart über seine Lippen während die Augen zu glänzen beginnen. „Die Bäume reden nicht zurück, vergessen nichts, machen nichts kaputt, sind schön anzusehen und begnügen sich mit etwas Wasser von Zeit zu Zeit. Ein Mittagsschläfchen nach getaner Arbeit im Schatten eines Ölbaums – es gibt kaum Schöneres!“

Noch ein paar weitere Hausweingläser lang erklärt er mir, worauf es bei der Olivenernte ankommt und welche Kunst das richtige Pressverfahren ist, um letztendlich das herrlich frische Olivenöl verkosten zu können. Ich mag es, wenn Menschen so für etwas brennen. Damianos hier für sein selbst gepresstes Olivenöl, zu Hause in der Heimat viele Weinbauern für ihren selbst angebauten, gelesenen und gekelterten Wein. Ein Hoch auf die Kraft der Selbstwirksamkeit. Mit dieser schönen Geschichte und dem Wellenrauschen im Ohr fällt das Einschlafen wenig später ganz leicht.


Parallel zum Wanderweg bringt die Fähre Menschen von Ort zu Ort. Wie eine Perlenkette sind sie am E4 aufgefädelt, die Dörfer mit weiß gekalkten Häusern und meist blitzblauer Sockelleiste. Wer nicht wandern mag oder kann, darf bootfahren.


Die heutige Etappe startet in Agia Roumeli, wohin uns das Fährboot bringt. Wir genießen das monotone Auf und Ab des Wellenritts. Wie Spatzen auf der Stromleitung sitzen wir aufgefädelt. Carina kümmert sich in bewährter Tradition um das Gruppenfoto und bittet den Matrosen, diesen schönen Moment für uns festzuhalten.






Ich schaue über das Tiefblau hinüber zum Küstensaum samt der mächtigen Felsformationen. Die Bugwelle der Fähre schäumt. „Magic!“ ploppt es aus mir heraus. Harald hat mir das Wort „magic“ verboten. Er ist bekennender Existentialist. Kant und Camus sind seine besten Freunde. „Die Welt ist fertig erklärt. Es gibt hier keine Fragezeichen mehr. Das ist alles erklärbar. Somit gibt es auch nichts zwischen den Zeilen, keine Magie!“ werde ich belehrt. Gegensätze ziehen sich an. Manchmal. Ich mag das neckische Aneinanderreiben unserer Weltanschauungen. Dennoch bleibt der Ausblick für mich magisch.

Es juckt. Ich kratze eifrig meinen Gelsendippel (Einstichstelle einer Stechmücke) am Bauch. Michaela wundert sich „Dass die Gössn do überhaupt durchkommen is durch des Waschbrett is a Wahnsinn!“ Unsere Blicke kreuzen sich. Für dieses vertraute Gefühl von tiefer Freundschaft braucht es keine Worte. Wir spüren beide die tiefe Verbindung. Schön, nicht nur AUF einem Weges-Freund unterwegs zu sein, sondern auch MIT Herzens-Freunden. Harald rehabilitiert seinen Magic-Entzug und holt von der Bordkantine Kaffee für alle.

Der Song „You’ve got a friend“ schwebt gemeinsam mit dem Wellenrauschen in der Luft.


Hinaus aus dem Boot, hinein ins neue Tagesabenteuer. 16 Kilometer Staub, Steine und Hitze warten heute auf uns. Nach 4 Kilometern müssen wir an einer einsamen Taverne halten. Harald’s Blasen quälen zu sehr. Der Weg fordert seinen Tribut. Wir lernen Martina aus Wien kennen. Sie lebt im Zelt, bemalt untertags Steine zu Marienkäfern, die dann zu käuflichen Schlüsselanhängern mutieren, und wenn der träge griechische Tavernenbesitzer eine helfende Hand benötigt, dann ist Martina sich nicht zu schade dafür. „Ich lebe hier meinen Traum. Von Mai bis Oktober, die ganze Saison bin ich hier. Mit meinem Zelt. Für zwei Wochen kommt im Sommer mein Mann. Seit Jahren. Wäre ich ständig zu Hause, wäre er nicht mehr mein Mann.“ Klingt nach Liebe. Auf Zeit. Sie mag ihr Lebenskonzept, er offensichtlich auch.

Den Schmerz lassen wir zurück, ein Marienkäfer im Rucksack kommt mit.



Duftende Kräuter sind stete Begleiter auf der Route. Manchmal gleich am Wegesrand, manchmal ein paar Meter entfernt und manchmal werden sie gerade von akrobatischen Ziegenzungen ihrer Blätter erleichtert. Oregano, Thymian und unzählige Bergteestauden – die halbe Speisekarte der griechischen Küche ist im üppigen Wildwuchs vertreten.


Die Landschaft auf diesem Wohlfühl-Weg mutet archaisch und zeitlos an. Kaum Gebäude, viel Natur. Die Olivenhaine werden weniger und nur vereinzelt ragen die knorrigen Jahrhundertgeschöpfe noch aus dem steinigen trockenen Boden. Kreta, das Olivenfass Europa’s gedeiht. Die alten knorrigen Gewächse zeugen von Jahrhunderten, die an ihnen vorbeigezogen sind. Grexit und Brexit spielen hier keine Rolle. Was kümmerts diese altehrwürdigen Wesen. Sie wuchsen und trugen Oliven zur Reife schon lang bevor es das scheinbar vereinte Europa gab, und sie werden es tun bis lang nachdem unser Feuer erloschen ist.


Ich fühle die Weite der Landschaft die sich immer wieder in mir ausbreitet und in mir Raum für Neues schafft, die Unendlichkeit des Meeres, das hinter dem Horizont weitergeht im Kontrast zu unserer Endlichkeit. Mit diesem Wissen möchte ich die uns bleibende Zeit nützen, mit Reisen wie dieser, Seelennahrung, Herzensbildung durch das Sein mit sich und wohlgesonnen Zeitgenossen, gepaart mit Naturkräften in bizarrer Landschaft, zurückgeworfen auf das Notwendigste.


Der Weg wird ausgesetzter. Links von mir karger Fels, rechts von mir das Meer. Wie ein azurblauer Samtteppich breitet es sich bis zum Horizont aus. Weiße Schaumkrönchen tänzeln darauf, mit viel Phantasie im Sirtaki Takt.


Das Festland schmiegt sich in Rundungen an die Wasserlinie. Großsteinigen Rundschotter gibt es nahezu überall, über Jahrtausende von Wind & Wasser samtig weich geschliffen. Manchmal unterbrechen Felsformationen das Geschottere. Die raren Ölbäume werfen ihren Schatten auf den kargen und ausgetrockneten Boden. Ein paar tapfere Wildgrashalme haben sich emsig den Weg durch die spröde und ausgetrocknete Erdkruste erarbeitet und ragen stolz empor. Nicht alle, auf manchen lümmeln Ziegen, die Zuflucht vor dem sich am Zenit befindlichen Feuerball suchen und finden, während sie aufmerksam und neugierig das Geschehen der Landschaft beobachten.


Ich halte inne und wende mich dem Meer zu. Ein flacher Felsblock lädt mich ein auf ihm Platz zu nehmen. Ich nehme diese Einladung liebend gern an. Der Wind versucht mir mein schweißgetränktes Haar zu trocknen und streicht mir sanft über die Haut. Er fühlt sich an wie ein guter alter Freund, der heimkehrt und zu Besuch kommt und mich dabei liebevoll mit seinem Seidenschal berührt.


In der Marmara-Bucht gibt es ein herzliches Wiedersehen mit dem Tavernenbetreiber Edmound. Als stolzer Albaner preis er sein Nationalgericht, die schmackhafte geröstete Leber, mit Herzensfreude an. Mundi, wie ich ihn liebevoll nenne, erinnert sich an unsere gemeinsame durchzechte Nacht vor vier Jahren bis zum Morgengrauen und gibt eine Runde Raki aus. Dank der Wiedersehensfreude schaff ich’s trotz der brütenden Hitze nicht nein zu sagen.



Der nächste Boxenstopp will wohl verdient sein. Die großen Brüder der Cliffs of Moher, die Klippen am Ausgang der Aradena Schlucht, sie bilden die Schlüsselstelle der gesamten Wochen-Route. Nicht erst einmal habe ich überglückliche und erleichterte Wanderer weinend im Sand knien gesehen, nachdem sie diese technisch höchst anspruchsvolle Mutprobe bestanden haben. Wir kommen heil im verwunschenen Haus an. Hier steht die Zeit still. Zumindest so lange wir in den gemütlichen Leinenstühlen sitzen und den Wellentanz im Glitzerkleid bestaunen. Die Wildromantik, die diesen wunderbaren Ort umgibt, könnte ein Maler nicht kitschiger in einen Bilderrahmen malen. „Magic!“ denke ich mir leise, um keine bösen Blicke zu ernten.




„Can we have the Menu?” fragen wir höflich.

“I am the Menu!” tönt es stoisch mit griechischem Akzent retour. Ich mag Georgios. Sein Vater Georgios gleicht ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Der Namensgeber vom Georgios House ist allerdings der Onkel des Vaters, auch ein Georgios. 3:0 für Georgios versus Yiannis.


Gestärkt vom Meeresblick und leckerer Labung treten wir den heutigen Triumpfmarsch nach Loutro an, unser heutiges Etappenziel.



Manchmal geht jeder für und bei sich, manchmal bilden sich kleine Gruppen und manchmal gehen wir plaudernd zu zweit. Die heutigen Finalkilometer spaziere ich neben Jette. Sie ist für mich die wahre Heldin dieser Reise. Den kleinsten Rucksack, den größten Bauch. Frau von Welt. Sie hat das Einpack-Motto „Reduce to the Max“ als Einzige wirklich beherzigt. Und das, obwohl der Babyboy schon in fünf Monaten zur Welt kommen wird. Vorsichtig formuliere ich die sensitive Frage, die mir schon ein paar Tage auf den Lippen liegt: „Wie geht es dir als Schwangere mit uns den Weg zu gehen? Überwiegt die Angst, dass etwas passieren könnte oder die Freude, dass euer Nachwuchs schon im Mutterleib solch eine Reise miterlebt?“

Ich ernte einen verblüfften Blick. „Angst? Keineswegs! Ich sehe das als schöne Generalprobe für das Leben. Unser Leben ist bunt, und das wird es auch bleiben. Diese Reise stärkt das Baby und bereitet es schon gut auf die späteren Abenteuer am Tageslicht vor.“ Welch geiles Mindset! Tief beeindruckt erspähe ich am Horizont die ersten weißen Tupfen. Das Dorf naht, vielmehr wir uns ihm.


Vor wenigen Jahren erst haben die Bewohner sich bei einer Abstimmung erneut gegen die Anbindung an das öffentliche Straßennetz ausgesprochen. Auf die Scheibtruhen am Hafen haben ihre Besitzer Mercedes- & BMW-Logos gemalt. Die nützlichen Schubkarren sind die Autos von Loutro. Über das Dorf ist eine Haube der Entspannung und Gemütlichkeit gestülpt. Kein lautes Wort, keine schnelle Bewegung. Hier dürfte Stressresistenz in die DNA der Bewohner eingepflanzt sein. Zu schön ist der Ort, um nur eine Nacht hier zu verbringen. Wir gönnen uns einen Ruhetag.





Loutro ist der Inbegriff des lieblichen griechischen Postkarten-Idylls, das als Insel im türkisen Meer schwimmt. Schützende Bucht, kristallklares Wasser und Good Vibes at the Beach. Als Harald und ich uns vor 4 Monaten zum letzten Mal gesehen haben, habe ich ihm meine Abnehm- & Gewichtsreduktions-Offensive angekündigt. „Du wirst auf meinen Rippen Klavier spielen können.“ war damals meine protzige Behauptung. Als ich mich im Schotter liegend dem erholsamen Halbschlaf widme, spüre ich ein Streichen über meinen Brustkorb. „Klaus! Ich kann die Tasten nicht finden, zu viele Schnitzel liegen drauf.“ Wir prusten und lachen uns gegenseitig an, der Sand fliegt ins Gesicht und wie junge Hunde tollen wir ins Meer.


Am Abend entführe ich die Gruppe in meine Lieblings-Taverne zu Stavros. Sonore Stimme, stämmiger Körperbau und Vollbart. Die Augen lugen klein hinter prall gefüllten Backen hervor. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass eines der beiden aus Glas ist. In seinem Blick schwingt Traurigkeit und griechische Inselmelancholie mit. Beim Gespräch mit ihm erfahre ich vom tödlichen Unfall seines Bruders, der die Taverne und die zu vermietenden Studios mit eigenen Händen gebaut und ins Leben gerufen hat. Als er sich unerwartet und viel zu früh aus dem Leben verabschiedet hat, stand Stavros vor der Herausforderung den Familienbetrieb zu übernehmen. In Loutro sind seine Wurzeln, seine gesamte Familie lebt hier. Trotz seiner Reiselust und dem Drang die Welt zu erkunden, gab es für ihn keine Alternative als des Bruder’s Werk fortzuführen.


„What about winter? Are there any people living here?“ frage ich ihn neugierig in der Hoffnung die Melancholie zu vertreiben. „In winter there are seven people living in Loutro, me included. The boat goes two times per week. If you have luck.” schießt er mit einem sympathischen Lächeln nach. Oktopusse tanzen auf unseren Zungen freudig im Tsatziki-Kleid. Das Lammfleisch fällt fast von alleine vom Knochen direkt in unseren Mund und gesellt sich dort zum Fetakäse. Der Weißwein aus der Karaffe hilft beim Runterspülen und macht dabei den Gaumen froh sowie das Gemüt heiter. Ein Hoch auf Stavros‘ Koch – selten solche Geschmacksfestspiele gefeiert.


Die finale Etappe eröffnen wir mit einer Sonnenaufgangswanderung.

Das Licht hier im Süden der größten mediterranen Insel dringt am Morgen vorsichtig in neue Ecken ein und erobert diese Zentimeter für Zentimeter. Zu Mittag kneifen selbst die hartgesottensten sonnengewöhnten Griechen die Augen zusammen um von der Sonne nicht zu sehr geblendet zu werden. Am Nachmittag beginnen sich die unterschiedlichsten Rottöne ins Sonnenlicht einzuflechten bevor am Abend beim Sonnenuntergang die Effektshow in einem satten und fast schon kitschig anmutenden Purpur seinen krönenden Tagesabschluss erhält.


Bei einer Wanderpause kurz vorm Ziel machen wir einen Rückblick und tauschen uns über persönliche Erkenntnisse der vergangenen Woche aus. Ich fühle mich beseelt, ausgeglichen und eins mit mir und der Welt. „Es fühlt sich an, als hätte sich mein Ego wie eine Brausetablette im Lybischen Meer aufgelöst.“ bringe ich es beim letzten gemeinsamen Zusammensein auf den Punkt. „Hoffentlich weiß das dein Ego auch!“ ernte ich als wertvolle Wortspende.


Wir gehen ihn zu Ende, mit dem einen oder anderen Magic Moment im Gepäck. In mir braut sich ein Cuvee aus Erleichterung & Wehmut zusammen. Glücklich, ihn einmal mehr heil & fit geschafft zu haben. Traurig, von einem guten Freund Abschied zu nehmen. Als ich mit der letzten Wegmarkierung abklatsche, kullert eine Träne die Wange herunter. Doch ich beruhige ihn, den E4, und verspreche ihm: „Ich komme wieder, mein Freund!“


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