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EINBLICKE

In mein Leben. In mich.

  • AutorenbildKlaus

RAUHER KAMM

Aktualisiert: 16. Nov. 2020


Vogelgezwitscher säumt den Weg. Dieses fröhliche Pfeifen fügt sich herrlich erfrischend in das Tosen der Wassermassen. Ötschergräben. Doch das ist nur das lieblich-sanfte Vorspiel auf den König Niederösterreich’s: Nein, nicht Erwin Pröll, sondern: Der Ötscher! Inklusive Mutprobe: Rauher Kamm! Wenn schon ordentlich, dann schon ordentlich ordentlich. Die Mythen ranken sich, wie es zu diesem Respekt-einflößenden Namen kommt. Als wir ihn persönlich kennenlernen meinen wir: Er ist ärger als sein Name.

Doch so weit sind wir noch nicht.


Parallel zum Forellen-Geplätscher in den Ötschergräben schlängeln wir uns zum Ötscher-Hias, um uns noch eine letzte Stärkung für den Gipfelsturm zu gönnen. Käsekrainer Deluxe! Bei unserem Vorhaben ist Kalorienzählen Tabu, jede Reserve an Energie kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Noch geht es über sanfte Wiesen und breite Wanderwege bergwärts, doch das mächtige, kahle und königliche Haupt lugt immer wieder warnend und bedrohlich zwischen Baumwipfeln hervor.


Stille. Betretene Stille. Wir können es noch nicht genau einschätzen, was er uns alles abverlangen wird und wie sehr er uns fordern wird. Und ob er uns die abendliche Reservierung in der Berghütte noch erfüllen wird lassen.

Den Traunstein haben wir beide als Übungsberg hinter uns gebracht. Doch was nützt der Zwergenhang als Vorbereitung, wenn du dich die Streif hinablassen willst?

Egal, es geht weiter. Wir sehen dem Kommenden entgegen, alles andere als gelassen.

Passend zum Einstieg in die Schlüsselstelle „Rauher Kamm“ passt sich auch das Wetter an. Es wird rauh. Die Hauben werden gezückt, doch für die klammen Finger fehlt der Schutz. „Das kann Lebens-entscheidend sein“ schießt es mir kurz durch den Kopf bevor ich diesen Gedanken verbanne. „Ich habe uns in diese Situation gebracht, ich bringe uns hier auch wieder heil heraus“ ersetze ich den Gedanken. Berg unterschätzt, Kondition überschätzt. Die Arme beginnen langsam zu zittern, was nicht recht hilfreich ist, wenn während des Kletterns der Großteil des Körpergewichts an ihnen hängt. Reicht die Kraft? Ist auch wirklich jeder Stein an den wir uns klammern so fest im Bergmassiv verankert wie es scheint? Vertrauen ist die Reduktion von Kontrolle. Wir können nicht alle Felsvorsprünge auf ihre Festigkeit und Tragfähigkeit kontrollieren. Daher vertrauen wir. Inzwischen zittern nicht nur die Arme, die Beine machen mit. Auch andere Wanderer wagen das Kletter-Unterfangen ohne Sicherung. Betretenes Schweigen. Jeder ist mit sich, seinem Körper und seinen Dämonen beschäftigt. Das Ziel naht, ist in greifbarer Nähe, doch jeder Griff und jeder Tritt muss überlegt gesetzt werden um das Überleben zu sichern. Manchmal sieht es aus, als würde es kein Weiterkommen geben. Aussichtslose Position im Berg. Wie manchmal auch im Leben. Kein vor und zurück scheint möglich. Doch dann. Dann taucht von irgendwoher doch ein stabil wirkender Griff oder der bis jetzt unscheinbar wirkende Felsvorsprung auf, und schon gibt’s die Chance auf ein Weiterkommen. Wenn man die Gelegenheit beim Schopf packt. Gesagt getan, und so hieven wir uns einige Male mit letzten Kräften aus prekären Situationen wieder in den Wanderfluss.

Geschafft! Am Gipfel! Alpenglühen!



Der Sonnenuntergang am Dach Niederösterreichs entschädigt die Strapazen. Augenschmaus der besonderen Klasse. Die Zufriedenheit und Erleichterung in unseren Gesichtern können wir nicht leugnen. Wollen wir auch nicht. Wie das Vakuum nach dem Orgasmus fühlt sich die Wohlfühlblase um uns herum an. Alles ist leicht und gut. Körper und Geist stellen von Überlebenskampf auf Genießen und Endorphin-Feuerwerk um. Zwei Bergkammeraden zücken ihren Flugdrachen und verzieren damit den Horizont. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht verfolgen wir den bunten Farbklecks wie er am Horizont tänzelt für ein paar Momente, bevor wir uns wieder dem Abenddämmerungs-Spektakel widmen. „Unglaublich wie schön die Natur zeichnen kann“ denken wir uns als wir den sanften Wiesenrücken durchstreifen.


Wir sind geschafft, die Wanderung noch nicht ganz. Zum Schutzhaus sind es noch 30 Minuten. Bei Tageslicht und guter Sicht. Die Dunkelheit hat recht rasch mit dem Abendrot abgeklatscht und das Kommando übernommen. So wird jeder Tritt zum Überraschungs-Akt, ob unter der Sohle noch fester Boden auf den Wanderschuh wartet. Einmal fast nicht mehr. Doch die Abrisskante erspäht unsere Intuition und so halten wir noch rechtzeitig vorm freien Fall. Nicht immer wissen wir, ob der Weg, der sich nicht nach Weg anfühlt, auch wirklich zum Schutzhaus führt. Doch irgendwie fühlt es sich an wie ein sanfter Magnet, wie ein leicht gespanntes Gummiband, das uns sicher in die warme Stube zieht. Mit einem fürstlichen Mahl, Bieren und Schnaps wird der Sieg über den Rauhen Kamm begossen und das winzige Stockbettzimmer erträglich gesoffen.

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