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EINBLICKE

In mein Leben. In mich.

  • AutorenbildKlaus

Neffen-Nostalgie-Reise


Links und rechts von mir Frühling. Knospen sprießen. Die Natur möchte explodieren. Sie setzt gerade dazu an. Es sind die Tage wo sie sich ein grün-weißes farbenprächtiges Blütenkleid anzieht. Weite. Die Pannonia Tiefebene zieht an mir vorbei. Oder ist es schon die Puszta? Egal. Jedenfalls berglos. Seit 4h keine Erhebung am Horizont gesehen. Im Zug nach Rumänien. Cluj-Napoca, die Wahlheimat meines Bruders. Er ist Vater geworden. Zum ersten Mal. Und hat mich zum Onkel gemacht. Zum ersten Mal. Die Thronfolge und somit der Fortbestand unseres Nachnamens ist gesichert. Das nimmt Druck von mir. Danke Bruder Richard! Mit Vorname heißt der Thronfolger Dominic. Seine Mama Claudia liebt es nach dem Aussprechen seines Namens noch ein Mic-Mic hintendranzuhängen. Ich mag es wenn sie es macht. Es hat etwas humorvolles Verspieltes.

Doch noch ist es nicht so weit. Noch liegen 11 Stunden Zugfahrt vor mir. In letzter Zeit bin ich öfters Richtung Westen mit dem Zug gereist. Railjet, Business Class, Speisewagen, W-Lan,…

In meiner grenzenlosen Naivität gehe ich diesmal von selbigem aus. Weiter in den Osten als bis Parndorf bin ich noch nie mit dem Zug gereist. Heute schon. Cluj-Napoca in Transylvanien heißt das Ziel.



Wow, wusste nicht, daß es solche Retro-Waggons noch gibt. Schulausflugsbilder Anfang der Neunziger steigen in meinem Kopf auf. 6er Abteile. Fenster die man noch öffnen kann. WCs die eine Hygiene-Mutprobe darstellen, selbst für Stehpinkler. Sitzbezüge über die man gerne eine Plastikhülle stülpen möchte. Während der ungarische Frühling samt Pferdegespannen und Zigeunersiedlungen an mir vorbeirasen probiere ich meine neuen iPods aus. Kopfhörer von Apple die über Bluetooth funktionieren. Wenn man sie 2x antupft meldet sich Apple’s virtuelle Dienerin Siri mit der Frage „Was kann ich für dich tun?“. Die Kopfhörer reagieren auf Vibration. Prinzipiell tolle Idee. Absolute Fehlkonstruktion für rumänische Zugwaggons. Wir spüren jede Bahnschwelle. Die iPods auch. Im 5-Minuten-Takt fragt mich Siri: „Was kann ich für dich tun?“ Eigentlich wollte ich nur Musik hören. Ich wechsle auf Kopfhörer mit Kabel. Old school but good!

Es fühlt sich an wie eine Zeitreise. Der Waggon, die Landschaft, die Gebäude und auch das Bahnhofstreiben hat einen Retro-Touch.



Passend dazu lese ich in Fabio Volo’s neuem Buch folgende Zeilen:



Irgendwie sehr stimmig in diesem Moment.

Nach vielen Stationen und vielen Kilometern wird zum ersten Mal mein Zugticket kontrolliert. „Wollen Sie auf Erste Klasse upgraden?“ fragt mich der Schaffner. Ich frage nach dem Preis und nachdem ich erfahren habe, dass der Aufpreis 115,- EUR beträgt frage ich ob ich mir die Erste Klasse ansehen kann bzw. wo ich sie finde. „Sie sitzen in der Ersten Klasse.“ ist die ernüchternde Antwort. Mit gesenktem Kopf und dramatischen inneren Bildern packe ich den Sack an Gastgeschenken und meinen Trolley und bahne mir den Weg Richtung Zweiter Klasse. Gitterkäfige mit gackernden Hühnern, blöckende neugierige Ziegen an der Leine und indisch überladene Zugwaggons schwirren mir durch den Kopf. Ganz so schlimm ist es nicht. Ein Bisschen weniger Platz, noch ein Bisschen ältere Sitzbezüge, noch ein Bisschen schmuddeliger, noch ein Bisschen geruchsintensiver…aber ohne weiteres aushaltbar.

War ich alleine im 6er-Abteil der Ersten Klasse, so sind wir nun zu sechst im 6er-Abteil der Zweiten Klasse. Ich muss schmunzeln als ich das Bild vor mir sehe. Ist ers? Oder doch nur ein Double? Johnny Depp aus dem Film „The Tourist“ sitzt mir gegenüber.



Es stellt sich heraus, dass Johnny Depp im echten Leben Alex heisst, aus Oradea in Rumänien kommt, sechs Sprachen fließend spricht, so auch deutsch, und gerade von einem Ein-Jahres-Arbeits-Aufenthalt aus Malle wie er es liebevoll nennt nach Hause fährt.

Das Bisschen Frühstück hat recht lang angehalten, doch nun meldet sich der Hunger. Im Glauben es mir im Speisewagen gemütlich zu machen natürlich keinen Proviant mitgenommen. Allerdings: Kein Speisewagen weit & breit. 5 Stunden Fahrt liegen noch vor mir. Alex ist ein toller Gastgeber. Es fühlt sich an als wäre er der Capo des Abteils. Ich mag seine Ausstrahlung, sein lebensbejahendes Wesen, seinen weltoffenen kosmopolitischen Approach. Das alles garniert er gut mit einer würzigen Prise Humor. Manchmal ist auch Poesie dabei. Ab und zu wird er philosophisch. Viele tolle Sager von denen einer mir ganz besonders in Erinnerung bleibt: „Unterwegs sein ist mein Zuhause.“ Bei diesem Satz spüre ich Resonanz. Wir sind beide Nomaden. Neuzeitnomaden. Den Vogel schießt er ab, als er beginnt sein Jausensackerl mit mir zu teilen. Ich erbe Erdbeeren, Butterkekse und von seinem besten Freund hausgemachte ungarische Salami. Wir verleihen dem Abteil mit unserem Picknick eine ganz besondere Duftnote.

Nur noch 30 Minuten bis Oradea. Alex telefoniert mit seinem Vater, den er seit über einem Jahr nicht gesehen hat und der ihn vom Bahnhof abholen wird. Ich entziffere Bruchteile der rumänischen Konversation und vermute Schlimmes. Als wir in Oradea halten bestätigt es sich. Nach einer innigen Verabschiedung hechtet er aus dem Zug, reißt seinem Vater ein Papiersackerl aus der Hand, hechtet zurück in den Zug, überreicht mir das Sackerl mit den Worten: „Für deinen Hunger“. Grinsend huscht er aus dem Zug und erst jetzt umarmt, drückt und küsst er seinen Vater wie ein liebender nach einem Jahr heimkehrender Sohn es macht. Ich bin gerührt. Und sprachlos. Macht nichts. Inzwischen bin ich alleine im 6er Abteil. Zwar zweite Klasse Zugabteil, dafür gerade Erste Klasse Menschlichkeit erlebt. Das zählt mehr. Der Zug setzt sich in Bewegung und mir wird warm ums Herz. Das sind Geschichten die das Leben schreibt und das Salz in unsere Lebenssuppe streut. 2 Tage später besucht Alex seinen Bruder im Spital in Cluj-Napoca und stattet uns im Haus von Richard & Claudia einen Besuch ab. Alex ist eine wahre Bereicherung, ein menschlicher Edelstein.

2 Stunden sitze ich nun noch alleine im Abteil und bereite mich mental auf das Kennenlernen meines Neffens vor. Die Fotos, die ich bisher bekommen habe, sind entzückendst. Ich bin neugierig was es in mir auslöst, ihn das erste Mal zu halten. Vorfreude! Ich freue mich auch über mehr Fahrtzeit fürs selbe Geld. Mit nur einer Stunde Verspätung fährt der Zug in den Bahnhof von Cluj-Napoca ein. Nach Bukarest die zweitgrößte Stadt in Rumänien. Würde man rein am Bahnhofsbetrieb so nicht erkennen.

Mein Bruder steht am Bahnsteig und winkt mir schon durchs Fenster. Unsere Umarmung ist ähnlich intensiv wie 2 Stunden vorher die Papa-Umarmung vom heimkehrenden Alex.

Ich muss fastenbrechen. Der Rotwein aus dem Geburtsjahr meines Bruders ist schon geöffnet. Ein echter 75er. Seit drei Jahren hortet er ihn mit dem Ziel, wenn er Vater wird ihn zu zelebrieren. Heute ist genau der richtige Zeitpunkt fürs Zelebrieren meint er. Ich fühle mich geehrt und wir prosten uns zu. Claudia nippt ein Bisschen mit. Das erste Mal Neffenhalten ist ein erhebendes Gefühl.



Dominic kaschiert seine Freude über das Gastgeschenk, natürlich eine Hängematte, what else? Claudia & Richard freuen sich offensichtlich. Wir essen und plaudern viel. Claudia’s Mutter, Mama Vio, ist auch bei uns. Ich versuche mit ein paar italienischen Brocken in Konversation zu treten, schließlich gibt es große Parallelen zwischen der italienischen und der rumänischen Sprache. Ich bemerke, dass meine Brocken zu undeutlich sind und so weichen wir aus auf Körpersprache, stets begleitet mit einem großen Grinsen. Den behalte ich mir auch beim Einschlafen im Gesicht. Alex & Dominic kennengelernt, einen für mich sehr wichtigen Teil der Familie endlich wiedergesehen und in die Arme genommen. Ich freue mich auf die nächsten Tage: Grillen, Tauflocation besichtigen, plaudern, chillen und einfach nur: sein!



Die Zeit tröpfelt dahin wie das Wasser vom Gartenschlauch in des Bruder’s Teich. Das nächste Mal sehe ich Dominic im Juni zur Taufe. Und vor seiner Matura hoffentlich noch einige Male. Lasst sie uns nützen, die Zeit. Mit Momenten die wirklich zählen.



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